Jugoslawien — das Ende des deutschen Pazifismus

9. Mai 2019 | 20:00

In der Linken wurde der Zer­fall Jugoslaw­iens als Manip­u­la­tion von außen inter­pretiert: Die eth­nis­chen Grup­pen seien von einem wiedervere­in­ten Nazideutsch­land gezielt in den Bürg­erkrieg gehet­zt wor­den, um den let­zten sozial­is­tis­chen Staat in Europa zu zer­schla­gen. Unter dem Ein­fluss von Jour­nal­is­ten wie Jür­gen Elsäss­er, Peter Hand­k­te, Her­man L. Grem­l­iza, Georg Fül­berth und dem inter­na­tionalen „Kün­stler­ap­pell“ wurde primär Slo­bo­dan Miloše­vić als Opfer west­lich­er Ver­schwörung geze­ich­net und ratio­nale Erwä­gun­gen der NATO und Rus­s­lands zur Inter­ven­tion im zer­fal­l­enen Jugoslaw­ien in Abrede gestellt.

Diese linke Per­spek­tive auf ein Jugoslaw­ien als utopis­chen, sozial­is­tis­chen Antag­o­nis­ten des West­ens war bere­it, die kri­tis­chen Stim­men, die Krisen in der jugoslaw­is­chen Gesellschaft und Titos Mis­s­wirtschaft zu ignori­eren. Die NATO gegen den Sozial­is­mus und Deutsch­land gegen Ser­bi­en – diese Lesart bot sowohl linkspaz­i­fistis­chen und sow­jet­treuen Linken als auch der anti­deutschen Linken einen Mythos an, der mit der Real­ität der Jugoslaw­ienkriege und dem inter­na­tionalen Kon­text wenig zu tun hat­te.

Die 1990er waren geprägt von scheit­ern­den oder zu kurz ger­ate­nen Inter­ven­tio­nen: der mit Sad­dam Hus­seins Machter­halt endende zweite Golfkrieg, der Soma­lia-Schock, der Genozid in Rwan­da, das Mas­sak­er von Sre­breni­ca. Rufe nach der „respon­si­bil­i­ty to pro­tect“ stell­ten auch Deutsch­land in die Pflicht an der Ver­hin­derung von genozi­daler Gewalt mitzuwirken. Der Bruch mit dem Paz­i­fis­mus kon­nte unter den Beglei­tum­stän­den nur defiz­itär stat­tfind­en, war aber aus link­er, inter­ven­tion­is­tis­ch­er Per­spek­tive ein Fortschritt, der mit dem späteren, pop­ulis­tis­chen Back­lash zur „Friedens­macht Deutsch­land“ wider­rufen wurde und in der christkon­ser­v­a­tiv­en Ära mit einem osten­ta­tiv­en Nicht­in­ter­ven­tion­is­mus in Syrien und ein­er gle­ichzeit­i­gen Abschot­tung Europas bis tief in den afrikanis­chen Kon­ti­nent hinein ein deprim­ieren­des Ende fand. Ger­ade deshalb bleibt von Bedeu­tung, ver­gan­gene Inter­ven­tio­nen zu unter­suchen und in Kon­trast zum aktuellen Iso­la­tion­is­mus zu set­zen.

Felix Riedel ist kri­tis­ch­er Eth­nologe und Autor zahlre­ich­er Debat­ten­beiträge. www.felixriedel.net

Die Ver­anstal­tung ist Teil der Rei­he “Kun­st, Spek­takel & Rev­o­lu­tion” — eine Koop­er­a­tion des Bil­dungskollekivs BiKo e.V. und der ACC Galerie Weimar, unter­stützt von der Rosa-Lux­em­burg-Stiftung Thürin­gen. Weit­ere Infos unter: http://spektakel.blogsport.de

Datum:

9. Mai 2019    

Zeit:

20:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

ACC Galerie
Burg­platz 1
Weimar

Veranstalter*in:

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