The Gentle Lurch live im Laden

8. Februar 2015 | 20:00

The Gentle Lurch live im Laden

‚To lurch‘ heißt im Englis­chen so viel wie schlingern, torkeln oder taumeln. ‚To leave sb. in the lurch‘ bedeutet, jeman­den im Stich zu lassen. Tat­säch­lich ist ‚Workingman’s Lurch‘ ein pes­simistis­ches Album, das — wie der Titel nahe legt — vom Arbeit­en han­delt. Zur Arbeit gehen, auf Arbeit sein, Stag­na­tion… Dass es jet­zt auf’s Ster­ben zuge­ht.

Es ist das dritte Album der Dres­d­ner Band The Gen­tle Lurch. Ihre Mit­glieder stam­men aus dem Erzge­birge und der Gegend um Chem­nitz. Sie pausiert gern so lange, bis wirk­lich jed­er ihre Exis­tenz wieder vergessen hat. Ihr let­ztes Dop­pelal­bum stammt aus dem Jahr 2009 und Amer­i­cana-UK sprach damals von “Dresden‘s Answer to Wilco - a sprawl­ing, exper­i­men­tal epic…”

Neben der Kernbe­set­zung von Cor­nelia Moth­es am Flügel und Frank Heim und Lars Hiller an diversen Sait­enin­stru­menten, wur­den sei­ther Ron­ny Wun­der­wald und Timo Lip­pold an Schlagzeug und Bass zu fes­ten Mit­gliedern. Tat­säch­lich spricht die Band in Zusam­men­hang mit Workingman’s Lurch von einem „ehrlichen Rock­album“, was rel­a­tiv wun­der­lich erscheint, denn es ist eher das Gegen­teil von dem, was man gemein­hin „Album aus einem Guss“ beze­ich­net. Jedes Lied hat einen eige­nen Willen, will seine eigene Strate­gie, sein eigenes Momen­tum entwick­eln. Lud­wig Bauer hat zwei erschüt­ternd schöne Stre­ich­er-Arrange­ments beige­tra­gen und an eini­gen Stellen erweit­ert sich die Mehrstim­migkeit um einen Chor aus Müt­tern.

Aber Bass und Schlagzeug steck­en die Lieder in fes­tere Gerüste, lassen sie konzis­er wer­den, und zumin­d­est streck­en­weise auch lauter als auf vor­ange­gan­genen Alben. ‚Our Bod­ies Become The Ground‘ rollt wie eine Geröl­llaw­ine aus den Box­en der Anlage. Viel mehr Raum nimmt auch Cor­nelia Moth­es ein, die dem sprech-sin­gen­den Stoizis­mus von Lars Hiller ein trös­ten­des, beina­he erlösendes Ele­ment gegenüber stellt, und dabei Pop und eine vor­mals ungekan­nte Direk­theit in den Band­fokus rückt. Daneben bleibt ein Teil der alten Gen­tle Lurch: nah am Still­stand, unsich­er tas­tend, alt und irgend­wie morsch klin­gend.

The Gen­tle Lurch kann man eigentlich nicht als Folk­band beze­ich­nen. Dazu sind ihre Lieder zu unver­hofft, zu nah am Exper­i­ment. Sie mögen keine Wieder­hol­un­gen. Ein Nachzählen ergibt ger­ade drei Refrains auf dem gesamten Album. Die meis­ten Lieder sind wie Reisen von einem Punkt A zu einem Punkt B angelegt. Andere erheben und niv­el­lieren sich wieder wie eine Welle im Meer. Sie nutzen Ele­mente aus Folk, Coun­try, Amer­i­cana weil sie deren emo­tionale Direk­theit mögen und ord­nen diese neu. Manch­mal so kon­fronta­tiv, wie in ‚All Things Come‘, das an einem einzel­nen Orgel­ton von Beschw­erde in Trost hinüber kippt, und dabei Sänger wie auch Har­monien wech­selt.

Da ist die selt­sam rotierende Akko­rd­folge, auf der ‚Can­not‘ aufge­baut ist, oder der Groove, der den Gospel von ‚On How To Tamp Leaks‘ tor­pediert.

Ihre Lieder sind tex­tre­ich und nar­ra­tiv. Sie nehmen gern Wen­dun­gen ins Mys­tis­che wie das Ende ein­er Kurzgeschichte von Flan­nery O’Connor. Das Titel­stück ver­gle­icht – während erst nach und nach die Instru­mente ein­set­zen — beina­he kurzgeschicht­e­nar­tig den Burnout eines Angestell­ten mit dem pubertären Wel­tekel eines Teenagers und stellt dann fest: “We are pass­ing our days / Like two snails / Slow­ly crawl­ing past each oth­er / A shared office, alright / But aren’t we sup­posed to be broth­ers?”

‚Still Life‘ ist eine Hom­mage an den Maler und Holzstech­er Wern­er Wit­tig – semi-fik­tionale Biogra­phie und völ­lig fik­tive Erläuterung seines Schaf­fens: sich in seinem Wirken immer tiefer im Abstrak­ten zu ver­strick­en, den Ver­such unternehmend, etwas Unsag­bares zu sagen, etwas Ent­zo­genes abzu­bilden. Wit­tig zeich­nete sein Leben lang fast auss­chließlich Stil­lleben, die über die Objek­te wie Äpfel hin­weg durch Fen­ster auf men­schen­lose Land­schaften blick­en lassen.

All das bün­delt sich schließlich musikalisch wie auch textlich im let­zten Lied ‚Nest­ing‘, das in ein­er Art Flucht oder Befreiung mün­det, den Zus­tand der Trägheit abschüt­telt und sich behäbig auf­schwingt, um die Dinge, in die man ver­strickt war, von oben herab zu betra­cht­en: „There was some­thing that sat on my heart like a moth / But I flew free from the sludge and the sloth.”

Für Workingman’s Lurch arbeit­ete die Band erst­mals mit einem exter­nen Pro­duzen­ten. Johannes Ger­sten­garbe, der das Soundengi­neer­ing in Nashville erlernt hat, ste­ht eigentlich für dur­chaus polierte, dem Radio zuge­wandte Pro­duk­tio­nen und es war, so die Band, eine bewusste Entschei­dung, die Abwegigkeit und krude Herange­hensweise von Gen­tle Lurch mit sein­er Klangäs­thetik zu verbinden. Die Auf­nah­men, die mit Unter­brechun­gen gut zwei Jahre lang gedauert haben, fan­den in ein­er ehe­ma­li­gen Schoko­laden­fab­rik statt, die in dem

(Alt-)Neubaugebiet in Dres­den ste­ht, das auch im Albu­mart­work abge­bildet ist. Bis auf ein paar Satel­liten­schüs­seln aus den frühen 90ern ist die Wende an diesem Ort schein­bar spur­los vor­bei gegan­gen.

Und natür­lich klingt der Albumti­tel auch wie ein weit ent­fer­ntes Echo auf Workingman’s Dead von Grate­ful Dead (1970). Ist Workingman’s Dead ein Abge­sang an die kul­turelle Befreiung der 60er Jahre, dann ist WML ein Abge­sang an ein unbe­langtes und selb­st­bes­timmtes Leben. Es beschreibt kein kul­turelles Phänomen, son­dern ein biographis­ches: Das sich Eingliedern in die Mas­chine Arbeitswelt — das Ächzen des Mate­ri­als, die Ver­stock­ung, das Schleifen und Knar­ren, das Abstoßen nicht funk­tionaler Teile.

Datum:

8. Feb­ru­ar 2015    

Zeit:

20:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Der Laden

Tri­er­erstraße 5, Weimar

Veranstalter*in:

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