“Das es so weiter geht, ist die Katastrophe” — Kundgebung gegen rechten Terror

9. Oktober 2020 | 17:00

Am 9. Okto­ber 2019, am höch­sten jüdis­chen Feiertag Jom Kip­pur, bewaffnete sich ein rechter Ter­ror­ist mit Schuss­waf­fen und Sprengsätzen, um sich gewalt­sam Zutritt in die Syn­a­goge im hal­lenser Paulusvier­tel zu ver­schaf­fen. Sein erk­lärtes Ziel war es, einen Massen­mord an Jüd*innen zu bege­hen. Die über 50 Men­schen, die sich zu diesem Zeit­punkt in der Syn­a­goge befan­den, ver­sucht­en sich mit Möbeln zu ver­bar­rikadieren, um den Täter vom Ein­drin­gen abzuhal­ten.
Als die zufäl­lig vor­beik­om­mende 40-jährige Jana L. den Täter auf sein Ver­hal­ten ansprach, erschoss er diese kalt­blütig. Sie starb noch vor Ort an den Fol­gen ihrer Ver­let­zun­gen.
Da die Tür der Syn­a­goge nicht nach­gab, fuhr der Täter, mit der Absicht möglichst viele Migrant*innen zu ermor­den, zu einem nahe­liegen­den Dön­er-Imbiss. Dort erschoss er den 20-jähri­gen Kevin S. und ver­let­zt bei sein­er anschließen­den Flucht zwei weit­ere Men­schen schw­er, bevor er endlich von Ein­satzkräften festgenom­men wer­den kon­nte.
Die grausame Tat weist einige Par­allen zu ver­gan­genen Anschlä­gen von Christchurch, Poway und El Paso auf. Der Täter filmte die Tat mit ein­er Helmkam­era und stelle das Video live online auf dem Stream­ing Por­tal twitch.tv. Das Video sowie ein online veröf­fentlicht­es “Man­i­fest” gewähren Ein­blicke in die men­schen­ver­ach­t­en­den Ide­olo­gien, welche ihn zu seinem Anschlag motivierten. Das rechte Welt­bild zeich­net sich durch eine Ver­strick­ung von Ras­sis­mus, Antifem­i­nis­mus und Anti­semitismus aus, so auch im Fall des Ter­ror­is­ten in Halle.
Der Täter war Teil ein­er recht­en Sub­kul­tur, welche sich in Foren und Plat­tfor­men für Gamer online ver­net­zt und auf­s­tachelt. Mit Teils englis­chsprachi­gen Botschaften richtet er sich an eine glob­ale Zuschauer­schaft, von der er sich Anerken­nung für seine Tat erhofft. Der grausame Anschlag von Halle rei­ht sich in eine neue Art von rechtem Ter­ror ein, die sich durch eine virtuelle Insze­nierung ausze­ich­net: Der Täter sprach während der Tat von “achieve­ments” (Erfol­gen), welche in Com­put­er­spie­len der Ver­gle­ich­barkeit mit anderen Gamern dienen. In den Foren, auf denen sich der Täter umtrieb, wer­den High­scores vergeben für die “erfol­gre­ich­sten” Anschläge recht­sex­tremen Hin­ter­grunds — gemessen an der Zahl der ermorde­ten Opfer.
Kurze Zeit nach sein­er Ver­haf­tung bestätigte der Täter sein anti­semi­tis­ches und recht­es Motiv und ges­tand seine Tat. Am 21. Juli 2020 fand der Prozes­sauf­takt am Ober­lan­des­gericht in Magde­burg statt. Die Gen­er­al­bun­de­san­waltschaft wirft ihm in ihrer Anklage unter anderem zweifachen Mord und ver­sucht­en Mord in neun Fällen vor.
Nach dem Anschlag in Halle gab es von den Staat­strägern diesel­ben Phrasen, Empörungs­bekun­dun­gen und rit­u­al­isierten Trauerz­er­e­monien, die nach dem Atten­tat auf Lübcke und auch nach Hanau erneut bemüht wur­den. Stein­meier, Kramp-Kar­ren­bauer und der Rest der Bagage zeigten sich schock­iert und sprachen wahlweise von einem unvorstell­baren Ein­schnitt oder einem „Alar­mze­ichen“. Aber dadurch wird der rechte Ter­ror der deutschen Gesellschaft nur ver­harm­lost. Man muss nicht lange suchen, um recht­ster­ror­is­tis­che Mörder in der jün­geren deutschen Geschichte zu find­en und die Liste der Men­schen, die ihnen zu Opfer fie­len, ist eine lange Liste.
Vor 40 Jahren wurde der jüdis­che Ver­leger und Rab­bin­er Shlo­mo Levin und seine Lebens­ge­fährtin Fri­da Poeschke ermordet. Auch dieser Tat lag eine anti­semi­tis­che Ein­stel­lung zu Grunde. Die bis heute nicht voll­ständig aufgek­lärte Tat wird einem Mit­glied der Wehrsport­gruppe Hoff­mann zugeschrieben. Diese mil­i­tant rechte Gruppe ist eben­falls ver­ant­wortlich für einen Anschlag auf Sende­mas­ten des WDR im Jahr 1979. Dieser Anschlag wurde verübt, um die Erstausstrahlung der TV-Serie Holo­caust zu ver­hin­dern. 1990 wurde Amadeu Anto­nio von Neon­azis in Eber­swalde zu Tode geprügelt. Die nach ihm benan­nte Amadeu Anto­nio Stiftung zählt seit 1990 208 Todes­opfer rechter Gewalt sowie 13 Ver­dachts­fälle. Ende der 90er Jahre ver­schwand das Kern­trio des NSU im Unter­grund. Zwis­chen den Jahren 2000 und 2007 ermordete der NSU ins­ge­samt 10 Men­schen und begang mehrere Sprengstof­fan­schläge sowie Banküber­falle. Von einem Ein­schnitt kann also nicht die Rede sein. Rechter Ter­ror ist also viel mehr eine Kon­ti­nu­ität in der deutschen Nachkriegs­ge­sellschaft — nur wird er sel­ten als solche benan­nt.
Nazis sind in diesem Land keine Nazis, son­dern immer nur ver­wirrte Einzeltäter ohne gesellschaftlich­es Umfeld. Die Funk­tion der Einzeltäter-The­o­rie beste­ht darin, die demokratis­che Mitte von den extremen Rän­dern abzu­gren­zen. Sie verken­nt jedoch, dass der Täter aus Halle dig­i­tal in recht­en Foren ver­net­zt war und sich auch ana­log in ein­er recht­sof­fe­nen Nor­mal­ität bewegt. Seine Schwest­er schenk­te der Mut­ter CDs von den Böh­sen Onkelz und Frei­wild. Mario S., der Exfre­und der Schwest­er, war selb­st Teil der Neon­azi-Szene. Mario S. erzählt beim Prozess, dass er dabei war als der Täter in ein­er Pizze­ria Migrant*innen schikanierte deutsch zu sprechen und in famil­iär­er Runde davon sprach, dass „die Juden“ die Wurzel allen Übels seien. Das Umfeld ließ seine anti­semi­tis­chen und ras­sis­tis­chen Aus­sagen unkom­men­tiert, stimmte teil­weise zu und fragte höch­stens, ob das denn sein müsse. Fol­gerichtig reagierten sie auch nicht auf seine Waf­fe­naffinität. Seine Mut­ter, die als Grund­schullehrerin arbeit­et, ist selb­st eine wahn­hafte Anti­semitin, die ihren Sohn als Sozial­re­bellen anpreist: “Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne. Er hat was gegen die Leute, die hin­ter der finanziellen Macht ste­hen – wer hat das nicht?”. Tat­säch­lich ver­weist sie damit auf die bre­ite Akzep­tanz anti­semi­tis­ch­er Ver­schwörungserzäh­lun­gen in der deutschen Gesellschaft. Das macht deut­lich, dass eine Erk­lärungssuche, die sich auf das soziale Umfeld des Täters beschränkt, fehlgeleit­et ist. Wer die große gesellschaftliche Ver­bre­itung men­schen­ver­ach­t­en­der Ide­olo­gien ignori­ert, verdeckt die Ursachen des recht­en Ter­rors.
Der Anschlag muss im Prozess lück­en­los aufgek­lärt wer­den. Ein Prozess alleine löst die Prob­leme aber nicht.
Die Ereignisse und vor allem die Opfer der Tat dür­fen nicht vergessen wer­den. Anti­semitismus, Ras­sis­mus und Antifem­i­nis­mus sind als solche zu benen­nen und ihre gesellschaftlichen Ursachen zu bekämpfen. Vor allem gilt es, diesen men­schen­ver­ach­t­en­den Ide­olo­gien und Tat­en mit aller Kraft ent­ge­gen­zutreten.
Wir rufen zum 9. Okto­ber 2020 um 17 Uhr zu ein­er Kundge­bung gegen recht­en Ter­ror auf. Es wird ver­schiedene Rede­beiträge, eine begleit­ete Ausstel­lung zu den Todes­opfern rechter Gewalt seit der Wiedervere­ini­gung und Raum zum Aus­tausch geben.
Unsere Sol­i­dar­ität gilt allen Opfern sex­is­tis­ch­er, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt sowie recht­en Ter­rors!
Die Falken Jena

* Falls du zur Teil­habe an der Kundge­bung Kinder­be­treu­ung in Anspruch nehmen möcht­est, melde Dich bitte unter
Unterzeichner*innen:
Junges Forum DIG Jena
ISD Thürin­gen
NSU Kom­plex auflösen Jena
Pekari
Falken Erfurt
Katha­ri­na König-Preuss
MOBIT e.V.
Fri­days for Future Jena
FAU Jena
Gruppe in Erwä­gung
Frauen*streik Jena
Alles Muss Man Sel­ber Machen

Datum:

9. Okto­ber 2020    

Zeit:

17:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Holz­markt

Jena

Veranstalter*in:

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