Gerhard Stapelfeldt: Die Notwendigkeit an Auschwitz zu erinnern

18. Juni 2019 | 18:00–20:00

Vor­trag von Prof. Dr. Ger­hard Stapelfeldt: Von der Notwendigkeit und Schwierigkeit, sich an Auschwitz zu erin­nern.

Die Erin­nerung der Ver­brechen, die nur mit dem Namen ‚Auschwitz’ zu beze­ich­nen sind, fordert eine Aufk­lärung der beste­hen­den gesellschaftlichen Ver­hält­nisse, so daß deren Genese eben­so bewußt wie die utopis­che Aus­sicht auf eine vernün­ftige Gesellschaft eröffnet wird. Darin beste­ht die zen­trale Auf­gabe ein­er kri­tis­chen The­o­rie der Gesellschaft.
Jede Erin­nerung, ob von Einzel­nen oder von Gesellschaften, ist der Ver­such, von der Gegen­wart her ein Licht auf die Ver­gan­gen­heit zu wer­fen: die Genese des Beste­hen­den, die in der „kon­tem­porären Geschichte“ aufge­hobene „ver­gan­gene Geschichte“ zu begreifen. Sich Erin­nernde fra­gen nach der Ver­gan­gen­heit, um sich ihrer gegen­wär­ti­gen Iden­tität bewußt zu wer­den. Das Bewußtwer­den des Ver­gan­genen gelingt nur so weit, wie das Gegen­wär­tige bewußt ist. Erin­nerung ist deshalb: Aufk­lärung einzel­ner oder kollek­tiv­er Sub­jek­te, Bewußtwer­den ihrer bewußt­losen Iden­tität. Durch diese Aufk­lärung verän­dern Einzelne eben­so wie Gesellschaften ihre Iden­tität, durch diese Aufk­lärung ver­wirk­lichen sie eine Gesellschaft, in der die Men­schen sich ihrer selb­st und ihrer Ver­hält­nisse bewußt sind.
Eine solche Aufk­lärung der „kon­tem­porären“ und damit der „ver­gan­genen Geschichte“ scheint in der gegen­wär­tig herrschen­den Ord­nung des Neolib­er­al­is­mus ver­stellt. Dessen Basis-Dog­men behaupten die Unerkennbarkeit von Gegen­wart und Geschichte. Sie ver­leug­nen nicht nur die Möglichkeit aufk­lären­der Erin­nerung, son­dern drück­en bewußt­los aus, daß das unaufgek­lärte Ver­gan­gene die Gegen­wart in seinem Bann hält. Erin­nerung erscheint dann allen­falls möglich als eine informierte Erin­nerungslosigkeit: als Reduk­tion der Erin­nerung auf ein Wis­sen von ein­er vol­lends ver­gan­genen Ver­gan­gen­heit, die diese muse­al­isiert und die gegen­wär­tige Iden­tität nicht berührt. Ohne eine Aufk­lärung dieser anti-aufk­lärerischen neuen Ord­nung der Frei-heit, ohne eine aufk­lärende, weltverän­dernde Prax­is ist Auschwitz nicht zu erin­nern. Die Erin­nerung ist eine gesellschaftliche Utopie.

Prof. Dr. Ger­hard Stapelfeldt lehrte von 1979 bis 2009 am Insti­tut für Sozi­olo­gie der Uni­ver­sität Ham­burg. Seit­dem arbeit­et er als freier Schrift­steller in Ham­burg.

Weit­ere Ter­mine zur Ver­anstal­tungsrei­he sowie Infor­ma­tio­nen zur kosten­freien Besich­ti­gung der Gedenkstätte Buchen­wald:
https://www.facebook.com/events/514521965744316/

FSR Sozi­olo­gie, Gesellschaft­s­the­o­rie und Ange­wandte Ethik

Datum:

18. Juni 2019    

Zeit:

18:00–20:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Uni Jena, Asto­ria-Hör­saal
Unterm Markt 8
Jena

Veranstalter*in:

Veranstaltungslink: