Nikolai Bersarin — Ästhetische Verzückung oder Dokumente des Grauens? Vom Nachbeben der Bilder

28. November 2015 | 19:00

Pho­togra­phien wirken. Je drastis­ch­er die Szenen aus­fall­en, desto stärk­er stoßen diese Bilder auf uns ein und schock­ieren. Aber es gibt zugle­ich Gren­zen, was zu zeigen ist und was nicht mehr geht, weil (vorge­bliche) Moral und Zumut­bares über­schrit­ten sind. Zudem wer­den im Strom der sich über­bi­etenden, täglich wech­sel­nden Bilder, Motive und Anlässe schnell von neuen Schock-Szenen abgelöst. Die Pho­togra­phien der an den Strand gespül­ten toten Kinder aus dem Mit­telmeer gin­gen Anfang Sep­tem­ber einige Tage durch die Presse – und wur­den dann wieder vergessen. Neue Bilder kamen. Das Grauen­hafte im Bild löst sich infla­tionär auf. Zuviel des Schocks erzeugt ab einem bes­timmten Punkt para­dox­er­weise den gegen­teili­gen Effekt.

Liegt im Akt des Betra­cht­ens bere­its eine Dis­tanzierung? Und wie ver­hält es sich mit den the­o­retis­chen Reflex­io­nen, in denen wir Bilder in eine Sprache der The­o­rie über­führen und damit bere­its eine Gren­ze erre­icht­en? Selb­st eine rein phänom­e­nol­o­gisch-beschreibende Sich­tung set­zt zwis­chen die Pho­togra­phie und die Betra­chter einen Abstand: näm­lich den der (unaufheb­baren) Wort-Sprache. Vielle­icht aber ist genau dieser Abstand samt der Reflex­ion darauf das, was ein Bild über­haupt erst zur Ent­fal­tung bringt, um Lei­der­fahrung von und vor Men­schen anschaulich wer­den zu lassen. Diese Weisen des Sicht­bar­ma­chens sowohl von Lei­den wie auch die Modal­itäten von Ref­erenz stellen zugle­ich die Frage nach der ästhetisch Form eines Bildes und damit die Frage nach dem Real­is­mus von Bildern. Wie kann und darf, wie soll ein Bild beschaf­fen sein? „Die Absur­dität des Realen drängt auf eine Form, welche die real­is­tis­che Fas­sade zer­schlägt.“ So Adorno in bezug auf die Kun­st.

Pho­togra­phien kön­nen als Doku­mente arbeit­en und wirken. Kunst­werke jedoch entziehen sich einem solchen uni­di­rek­tionalen Abbil­dreal­is­mus, weil er allzule­icht in den Kitsch der guten Gesin­nung umschlägt. Den­noch ver­an­schaulichen auch solche Werke der bilden­den­den Kun­st auf ihre Weise das Grauen­hafte. Dieses Ver­hält­nis von doku­men­tarisch­er und kün­st­lerisch­er Bildlichkeit möchte der Vor­trag aus­loten. Fokussieren will ich auf die Bilder von den toten Kindern. Was darf Pho­togra­phie? Wie weit geht sie und inwiefern sind Pho­togra­phien zugle­ich ein Dis­tanzmedi­um? Ganz anders als etwa ein Kunst­werk es sein kann. Diese Fra­gen berühren eben­so jenen zen­tralen Satz von Adorno, den er später freilich mod­i­fizierte, daß es bar­barisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Ins­beson­dere im Blick auf die Ästhetik Adornos und auch hin­sichtlich der Pho­togra­phie bleibt diese Frage nach wie vor aktuell: Wie näm­lich Lei­den darzustellen sei und inwiefern Kun­st gle­ichzeit­ig zur Ästhetisierung dieses Lei­dens beiträgt.

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Datum:

28. Novem­ber 2015    

Zeit:

19:00

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Veranstaltungsort:

FreiRaum Jena e.V.
Spitzwei­den­weg 28
Kul­tur­bahn­hof Jena

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