4. Juli 2020 | 18:00–21:00
Eros als Verbündeter der Utopie? Herbert Marcuses ‘Triebstruktur und Gesellschaft
“Die Kritische Theorie der sogenannten Frankfurter Schule wird gelegentlich auch als Freudo-Marxismus bezeichnet. Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse wussten, die Verhältnisse im Spätkapitalismus, „mobilisieren nicht nur das Bewusstsein, sondern auch die Triebstruktur für die Reproduktion des Bestehenden“ (Marcuse 1974: 157). In seinem Hauptwerk ‚Triebstruktur und Gesellschaft‘ greift Marcuse 1955 auf die beiden Grundtriebe bei Freud zurück: Den Todes- bzw. Aggressionstrieb Thanatos und den Lebens- bzw. Verbindungstrieb Eros. Beide Triebe werden nach Freud kulturell kanalisiert, z.B. anhand der „Umformung des Todestriebs in gesellschaftlich nützliche Aggression“ (Marcuse 1955: 122), etwa im Konkurrenzkampf Aller gegen Alle oder auch im Krieg. Gleichzeitig, und das ist der Clou, prägt die Gesellschaft selbst Lebensmüdigkeit oder Lebenslust der Menschen. Also unterliegt auch die psychische Triebstruktur der Kritik. Umgekehrt folgt für die Utopie die „Idee einer Kultur, die aus freien libidinösen Bindungen erwächst und von ihnen getragen wird“ (ebd.: 178). Kann es also so etwas wie eine psychische Grundlage des Sozialismus geben? Ist der Lebenstrieb Eros, gesellschaftlich gestärkt, der Bündnispartner des Utopischen? Darüber wird an diesem Abend vorgetragen und hoffentlich auch diskutiert werden.
Zur Person: Dr. Alexander Neupert-Doppler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Politische Theorie am IASS Potsdam. Er veröffentlichte Bücher zu ‘Staatsfetischismus’ (2013), ‘Utopie’ (2015) und ‘Gelegenheitsdenken/Kairós’ (2019). Zum Thema gehören auch die von ihm herausgegebenen Bände ‘Kapitalismus und Opposition — Herbert Marcuses Pariser Vorlesungen’ (2017) und ‘Konkrete Utopien’ (2018).”