2. November 2015 | 19:00
Am 12. April 1990 erklärten die Abgeordneten aller Fraktionen der erstmals frei gewählten Volkskammer der DDR einstimmig: „Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Land. (…) Wir erklären, uns um die Herstellung diplomatischer Beziehungen und um vielfältige Kontakte zum Staat Israel bemühen zu wollen.“
Das Verhältnis zwischen der DDR und dem Staat Israel und insbesondere die Haltung der politischen Führungskräfte im ostdeutschen Staat zu Antisemitismus und Zionismus sowie zu den jüdischen Gemeinden von den ersten Nachkriegsjahren bis in die Wendejahre 1989/90 werfen viele Fragen auf: Wie wurden ideologische und politische Prämissen verwirklicht? Welchen Stellenwert nahm Israel in der Außenpolitik der DDR und der anderen osteuropäischen Staaten in der Phase des Kalten Krieges ein? Existierte eine Verbindung zwischen dem offiziellen Antizionismus und der Negierung gesamtdeutscher Verantwortung für die Shoah in der Politik des ostdeutschen Staates? Welchen Einfluss hatten die Beziehungen zu den arabischen Staaten und zur PLO auf das Verhältnis der DDR zu Israel? Was sind die Hintergründe für Modifizierungen der offiziellen Politik Ende der 1980er Jahre? Resultierte die Aufnahme von Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nach der politischen Wende von 1989 aus pragmatischem Kalkül oder aus einem ernsthaften Prozess des Umdenkens?
Der Vortrag stellt Determinanten der DDR-Politik gegenüber Israel vor und verweist auf Veränderungen der Haltung ostdeutscher politischer Eliten von 1945 bis 1990 anhand konkreter Beispiele. Schwerpunkte sind die ostdeutsche Nahostpolitik und die so genannte „Wiedergutmachungsproblematik“.
Dr. Angelika Timm war als Hochschuldozentin bis 1998 an der Humboldt Universität und von 1999 – 2002 an der Freien Universität Berlin tätig. Sie lehrte von 2002 – 2007 als Gastprofessorin in Israel und war von 2008 bis 2015 Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv.
Themenrelevante Buchpublikationen: Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997; Jewish Claims against East Germany. Moral Obligations and Pragmatic Policy, Budapest 1997; Israel. Geschichte des Staates seit seiner Gründung, Bonn 1998; Israel: Gesellschaft im Wandel, Opladen 2003.
Veranstaltung im Rahmen der 23. Thüringer Tage der jüdisch-israelischen Kultur