Demonstration: Für mehr Werktagsmilitanz! Egal ob Bau, Uni, Knast oder anderswo.

30. April 2017 | 15:00–18:00

Erste selb­stor­gan­isierte Demo in Jena zum bzw. vorm Ersten Mai

Wir sind die Freie Arbei­t­erin­nen- und Arbeit­er-Union (FAU). Die FAU ist eine anar­chosyn­dikalis­tis­che Gew­erkschaft und beste­ht seit 1977. In Jena arbeit­en wir in ver­schiede­nen Bere­ichen – im Call Cen­ter, an der Super­mark­tkasse, auf dem Bau, in der Uni, als Selb­st­ständi­ge – oder wer­den vom Arbeitsamt/Jobcenter gegän­gelt. Seit 2013 haben wir in Jena zahlre­iche Arbeit­skämpfe angezettelt und gewon­nen. Um diese Arbeit­skämpfe zu stärken und unsere Per­spek­tive bekan­nt zu machen, haben wir uns entsch­ieden, dieses Jahr in Jena eine Erste-Mai-Demo zu organ­isieren. Auf­grund der Antifa-Proteste am 1. Mai in Gera haben wir sie auf den 30. April vorge­zo­gen. Im Fol­gen­den wollen wir erk­lären, worum es uns geht.

Am 1. Mai 1886 begann in den USA ein Gen­er­al­streik zur Durch­set­zung des 8‑S­tun­den-Tags. In Chica­go, dem dama­li­gen Zen­trum der radikalen Arbeiter_innenbewegung in den USA, wur­den am 3. Mai Arbeit­er auf ihrem Streik­posten von der Polizei erschossen. In Reak­tion darauf riefen die Anarchist_innen für den näch­sten Tag zu ein­er Protestver­samm­lung auf dem Hay­mar­ket auf. Als bewaffnete Polizeiein­heit­en die Ver­samm­lung auflösten, wurde eine Bombe auf sie gewor­fen, die einen Polizis­ten tötete und mehrere ver­let­zte. Acht bekan­nte Arbeit­er­a­n­ar­chis­ten, Organ­isatoren des Protest­marsches, wur­den im darauf fol­gen­den Schauprozess verurteilt und vier von ihnen hin­gerichtet: George Engel, Albert Par­sons, August Spies und Adolph Fis­ch­er. Louis Lingg beg­ing in sein­er Zelle Selb­st­mord, die restlichen drei – Samuel Field­en, Oscar Neebe und Michael Schwab – wur­den später beg­nadigt. Damit hat­te der Klassenkampf in den USA eine neue Eskala­tion­sstufe erre­icht. Auf dem Grün­dungskongress der Zweit­en Inter­na­tionale 1889 wurde der Erste Mai in Gedenken an die Opfer von Chica­go zum „Kampf­tag der Arbeit­er­be­we­gung“ erk­lärt. Zwis­chen den Bratwurst­stän­den des DGB, staatskom­mu­nis­tis­chem Pro­letkult, spießi­gen Fam­i­lien­aus­flü­gen und Hip­pie-Fes­ten ist heute lei­der ver­loren gegan­gen, dass der Tag eigentlich für die Kämpfe der mil­i­tan­ten Arbeiter_innenklasse sowie die wichtige Rolle der migrantis­chen Arbeiter_innen und Anarchist_innen in diesen Kämpfen ste­ht.

Seit all dem hat sich viel getan. Der Kap­i­tal­is­mus hat sich im 20. Jh. mehrfach grundle­gend gewan­delt. Nach den gescheit­erten Auf­stän­den und Rev­o­lu­tio­nen zu Beginn des Jahrhun­derts und dem Kor­po­ratismus (1) und der Kriegswirtschaft der faschis­tis­chen Staat­en etablierte sich nach dem Krieg eine neue Ord­nung, die auf dem teils frei­willi­gen teils erzwun­genen Kom­pro­miss zwis­chen Staat, Kap­i­tal und Arbeiterfunktionär_innen basierte: In den west­lichen Demokra­tien wurde das fordis­tis­che (2) Pro­duk­tion­sregime der Massen­fab­riken und des Sozial­staats ein­gerichtet, in den Ost­block-Dik­taturen der Staatskap­i­tal­is­mus der Sow­je­tu­nion einge­führt. In den 70ern ist der Kap­i­tal­is­mus in die soge­nan­nte neolib­erale Phase über­gan­gen. Seit­dem wer­den in ein­er bis heute anhal­tenden Offen­sive von Staat und Kap­i­tal alte Sicher­heit­en und Arbeiter_innenrechte abgeschafft. Für uns in Deutsch­land bedeutet das konkret zunehmend prekäre (unsichere) statt sicheren Arbeitsver­hält­nis­sen, Teilzeitar­beit und Mini­jobs statt vollen Arbeitsstellen, eine Senkung unseres Repro­duk­tion­sniveaus und Lebens­stan­dards (z.B. höhere Krankenkassen­beiträge, mehr Zuzahlun­gen zu Behand­lun­gen, Rente erst ab 67), den neuen Arbeit­szwang über Hartz IV und die fort­ge­set­zte Zusam­me­nar­beit der Bürokra­tien der DGB-Gew­erkschaften mit unseren Chefs und dem Staat statt Arbeiter_innenmilitanz.

Die grundle­gen­den Struk­turen des Kap­i­tal­is­mus haben sich aber nicht gewan­delt. Diese Gesellschaft basiert weit­er­hin auf der Aus­beu­tung unser­er Arbeit­skraft sowie auf der Spal­tung der Arbeiter_innen, Entrech­tung und krassen Aus­beu­tung der benachteiligten Grup­pen. Das sind beispiel­sweise die slowakischen Arbeiter_innen in der Geflügelfab­rik in Hain­spitz bei Eisen­berg oder rumänis­chen Erntehelfer_innen auf den Erd­beer­feldern Thürin­gens. Die inhaftierten Arbeiter_innen, die in den thüringis­chen Jus­tizvol­lzugsanstal­ten Ton­na, Unter­maßfeld, Hohen­leuben, Gold­lauter, Gera und Arn­stadt Zwangsar­beit leis­ten. Frauen, die immer noch für selbe Arbeit schlechter bezahlt bzw. in schlecht bezahlten Branchen gehal­ten wer­den und in den Haushal­ten und Fam­i­lien die meiste Haus- und Sorgear­beit kosten­los ver­richt­en. Aber speziell in Jena auch die stu­den­tis­chen und jugendlichen Arbeiter_innen, die sich in Mini­jobs aber auch als Hil­f­skräfte an der Uni um Min­de­strechte wie Urlaub, Lohn­fortzahlung im Krankheits­fall, bezahlte Über­stun­den und sog­ar den Min­dest­lohn prellen lassen.

Arbeit bes­timmt einen Großteil unser­er Zeit und unseres Lebens. Entsprechend soll­ten Arbeit­skämpfe eine wichtige Rolle in unserem Leben ein­nehmen. Wir wollen uns deswe­gen mit euch zusam­men­tun, uns gemein­sam organ­isieren und uns endlich gegen die beschisse­nen Arbeitsver­hält­nisse wehren – schließlich geht es um nichts Gerin­geres als unsere Leben, unsere Würde und unsere Bedürfnisse! Für uns bedeutet das nicht nur, konkrete Forderun­gen um Lohn­nachzahlung oder verbesserte Arbeits­be­din­gun­gen durchzuset­zen, son­dern auch Alter­na­tiv­en wie Koop­er­a­tiv­en, Kom­munen und sol­i­darische Net­zw­erke aufzubauen und zu vertei­di­gen. Das kön­nen wir nur selb­st tun, denn die, die von diesen Ver­hält­nis­sen prof­i­tieren, wer­den das nicht für uns tun. Nun gibt es lei­der wed­er in den bürokratis­chen Gew­erkschaften eine wider­ständi­ge All­t­agskul­tur, noch kön­nte man sagen, dass sich Viele aus der autonomen Bewe­gung mit ihren eige­nen Arbeitsver­hält­nis­sen auseinan­der­set­zen wür­den. Deswe­gen möcht­en wir den Auf­bau von wider­ständi­gen Betrieb­s­grup­pen und unab­hängi­gen Gew­erkschaften wie der FAU, IWW (3), der Gefan­genengew­erkschaft (GG/BO) (4) und den unter_bau (5) weit­er voran­brin­gen und im Hier und Jet­zt Arbeit­skämpfe anfan­gen und gewin­nen.

Eigentlich woll­ten wir den 1. Mai nutzen, um das auszu­drück­en und auf unsere konkreten Arbeit­skämpfe in Jena hin­weisen. Lei­der vere­in­nah­men auch die Nazis den 1. Mai als „nationalen Tag der Arbeit“ für sich. In Halle und Gera wird es größere Nazi-Demos geben. Auch wir wer­den dort hin­fahren und die autonomen Antifa-Proteste unter­stützen. Wir wollen uns aber diesen Tag und seinen ursprünglichen Inhalt nicht weg­nehmen lassen und bloß den Nazis hin­ter­her­fahren. Deswe­gen organ­isieren wir für den Vortag, den 30. April, eine Arbeit­skampf-Demo in Jena. So wollen wir nicht nur auf die zahlre­ichen kleinen Arbeit­skämpfe und Organ­isierung­sprozesse in unser­er Stadt hin­weisen, son­dern auch klar machen, dass wir nicht die beste­hende Ord­nung, son­dern unsere Kämpfe gegen diese Ord­nung vor den Nazis vertei­di­gen.

Wir rufen auch alle Antifaschist_innen in Jena und Umge­bung auf, unsere Demo zu unter­stützen. Denn erstens sind es die Ent­frem­dung, die zunehmende gefühlte und tat­säch­liche Unsicher­heit auf Arbeit und beim Hartz-Amt, die Konkur­renz zwis­chen ver­schiede­nen Arbeiter_innen und Grup­pen von Arbeiter_innen, die den Nährbo­den für die Neon­azis (Drit­ter Weg, Die Rechte, NPD) und Neue Rechte (AfD, Iden­titäre) darstellen. Zweit­ens ist es die Spal­tung in und Hier­ar­chisierung von deutschen und aus­ländis­chen Arbeiter_innen im Kap­i­tal­is­mus, an die die Nazis gekon­nt anknüpfen kön­nen. Und drit­tens sind einige Ziele und Visio­nen der Nazis noch oder schon jet­zt ansatzweise Real­ität in der Arbeitswelt, z.B. die Zwangsar­beit der Gefan­genen, die Diskri­m­inierung und krasse Aus­beu­tung migrantis­ch­er Arbeiter_innen auf dem Arbeits­markt, erste Schritte in Rich­tung Zwangsar­beit für „Asoziale“ über das work­fare-Regime von 1€-Jobs für Arbeit­slose und 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. All das zeigt uns, dass Klassenkampf und Antifaschis­mus zusam­men gehören.

Kommt also am 30. April um 15 Uhr zum Holz­markt in Jena. Von dort wer­den wir an eini­gen Orten der Aus­beu­tung, aber auch des Wider­stands vor­beiziehen, wo dann ver­schiedene Leute über ihre Organ­isierungsver­suche und Arbeit­skon­flik­te sprechen wer­den.

(1) Kor­po­ratismus beze­ich­net eine poli­tis­che und wirtschaftliche Ord­nung, in der sich die ver­schiede­nen Klassen – frei­willig oder zwangsweise – in Großver­bän­den organ­isieren und inner­halb eines Nation­al­staats „für das gemein­same Wohl“ zusam­me­nar­beit­en. Das kann sowohl die erzwun­gene Inte­gra­tion der Arbeiter_innen über die Deutsche Arbeits­front (DAF) in die soge­nan­nte „Volks­ge­mein­schaft“ der Nation­al­sozial­is­ten als auch die Zusam­me­nar­beit des DGB mit Kap­i­tal und Staat im Rah­men von „Sozial­part­ner­schaft“ und „frei­heitlich-demokratis­ch­er Grun­dord­nung der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land“ bedeuten.

(2) Der Fordis­mus beze­ich­net ein nach dem Ersten Weltkrieg in Europa und Nor­dameri­ka ent­standenes kap­i­tal­is­tis­ches Pro­duk­tion­sregime. Es basierte auf der Aus­beu­tung der Arbeiter_innen in der Massen­pro­duk­tion, der kosten­losen Aus­beu­tung der Sorgear­beit der Frauen im häus­lichen Bere­ich, auf einem neuen Massenkon­sum für die Arbeiter_innenklasse und einem aus­ge­baut­en Sozial­staat. Seine Hoch­phase erlebte der Fordis­mus nach dem Zweit­en Weltkrieg. In den 1970ern ist er in die Krise ger­at­en und wurde vom Neolib­er­al­is­mus abgelöst.

(3) Die Indus­tri­al Work­ers of the World (IWW), auch Wob­blies genan­nt, wur­den 1905 in den USA gegrün­det. Sie sind eine inter­na­tionale, Basis­gew­erkschaft für alle Sek­toren. Seit 10 Jahren gibt es eine Sek­tion der IWW im deutschsprachi­gen Raum. Die näch­ste IWW-Gruppe ist in Leipzig.

(4) Die Gefan­genen-Gew­erkschaft/Bun­desweite Organ­i­sa­tion (GG/BO) wurde 2014 als Gew­erkschaft der inhaftierten Arbeiter_innen gegrün­det. Ihre Kern­forderun­gen sind der Min­dest­lohn hin­ter Git­tern, der volle Ein­bezug der Gefan­genen in die Sozialver­sicherungssys­teme und Gew­erkschafts­frei­heit hin­ter Git­tern. In Thürin­gen gibt es die Jenaer Soli­gruppe und aktive Sek­tio­nen in den meis­ten JVAs des Lan­des.

(5) Die unter_bau ist eine im Herb­st 2016 offiziell gegrün­dete Basis­gew­erkschaft für alle Arbeiter_innen an der Uni Frank­furt. Sie ver­sucht, möglichst viele Uni-Beschäftigte, egal ob wis­senschaftlich oder nicht, zu organ­isieren, die Sol­i­dar­ität unter ihnen zu stärken und mit­tel­fristig über einen Streik und einen Tar­ifver­trag ihre Sit­u­a­tion merk­lich zu verbessern.

Datum:

30. April 2017    

Zeit:

15:00–18:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Holz­markt

Jena

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