8. Juli 2020 | 19:00
Die Auseinandersetzung zwischen Freudianern und Marxisten ist schon ein gutes Jahrhundert alt und hat eigentlich zu nichts geführt. Die Marxsche wie die Freudsche Theorie der Gegenwartsgesellschaft haben einen gemeinsamen Ursprung, nämlich die Kritik an dem grandiosen Versuch, unsere Geschichte und unsere Gegenwart als vernünftig zu erweisen, den Hegel vor 200 Jahren unternommen hat. Diese Kritik ist zum einen von Hegels Kollegen Schelling vorgetragen worden, zum andern von dem „anthropologischen“ Materialisten Ludwig Feuerbach, auf den Marx und Freud sich gleichermaßen beriefen. Dass trotz gegensätzlicher Ausgangspunkte (von der Struktur der Ware beziehungsweise von der Struktur der Träume) die beiden kritischen Theorien innerlich verwandt sind, haben Marxisten wie Psychoanalytiker nicht gesehen (oder nicht sehen wollen). Diese Verwandtschaft beruht nicht allein auf ihrer Herkunft, sondern vor allem darauf, dass sie ein und dasselbe „Objekt“ haben: die in einer bestimmten Form, nämlich über Geld und Markt, vergesellschafteten Individuen. Dies „Objekt“ ist ein verkapptes „Subjekt“, und das unterscheidet die Marxsche wie die Freudsche Theorie von den traditionellen Natur- und Geisteswissenschaften. Beide gehen darauf aus, Individuen und Kollektive dem Bann überlebter Institutionen zu entziehen, die ihnen so vertraut sind, dass sie sie für „natürliche“ halten. Die (empirische) Mentalitäts-Forschung, wie sie die Forschergruppe um Max Horkheimer in den vierziger Jahren in den USA (mit den Studies in prejudice) begründet hat, bietet ein Feld, auf dem Marxisten und Psychoanalytiker fruchtbar zusammenarbeiten können.
Referent: Helmut Dahmer
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Veranstaltungsreihe: Marxismus und Psychoanalyse
01. bis 11. Juli | Zoom
“Menschen vermögen sich selbst in der Gesellschaft nicht wiederzuerkennen und diese nicht in sich, weil sie einander und dem Ganzen entfremdet sind.” Theodor W. Adorno
Die Wechselwirkung zwischen der Gesellschaft als Abstraktem und der Psyche der Indviduuen wird schon seit der Entwicklung der Psychoanalyse kontrovers diskutiert. Sind psychische Krankheiten persönliche Leidensgeschichten oder fügt uns diese Gesellschaft diese Schäden zu? Was hat die Charakterstruktur mit gesellschaftlichen Phänomenen wie dem Antisemitismus zu tun?
Gemeinsam wollen wir uns diesen und weiteren Fragen vom 1. Juli bis zum 11. Juli in unserer Veranstaltungsreihe zum Zusammenhang von Marxismus und Pschoanalyse widmen.
Anhand von Vorträgen und Workshops wollen wir herausfinden, wie die beiden Themen inhaltlich zusammenhängen.
Als Einstieg in die Thematik findet am 01. Juli ein digitaler Einführungsvortrag statt, in dem die Begriffe Marxismus und Psychoanalyse vorerst getrennt voneinander betrachtet werden. Im Verlauf des Abends werden sich die Referent*innen aufeinander beziehen, sodass eine Annäherung der Themen stattfindet.
Am 04. Juli geht es weiter mit einem Workshop zu Triebstruktur und Gesellschaft mit Alexander Neupert-Doppler.
Zu den Erkenntnissen der Psychoanalyse über Antisemitismus wird Jan Schneider am 05. Juli einen Zoom-Workshop anbieten.
Einen tieferen Einblick in den Zusammenhang zwischen Marxismus und Psychoanalyse wird uns Helmut Dahmer am 08. Juli in einem Vortrag geben.
Den Abschluss bildet ein Workshop am 11. Juli zum Thema Psychisches Leiden und Gesellschaft von Hannah Enders und Stella Becht.
Zu den Vorträgen und Workshops gibt es jeweils einzelne Facebook-Veranstaltungen.
Meldet euch verbindlich für die Workshops an- die Teilnehmer*innen-Zahl ist begrenzt.
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