„Auch Polizist*innen sind Rassist*innen“ – Erklärung und Aufruf zur Prozessbegleitung

10. Juni 2015 | 13:00

Erklärung und Aufruf zur Prozessbegleitung am 10.06.2015, 13 Uhr, Amtsgericht Erfurt

(Erfurt, 02. Juni 2015)

Mein Name ist Igor, ich habe einen Migra­tionsh­in­ter­grund. Obwohl das so ist, sieht man mir das nicht an, denn ich habe meis­tens weiße Haut, werde aber oft rot im Gesicht. Ich habe einen deutschen Pass seit mein­er Geburt und ich spreche ganz gut deutsch. Obwohl ich sehr oft Zug fahre, wurde ich in meinem ganzen Leben noch nie von Polizist*innen im Zug, am Bahn­hof oder irgend­wo in Innen­städten ein­fach so kon­trol­liert. Nie!

Am 24.10.2015 war ich Ver­samm­lungsleit­er ein­er Kundge­bung, die anlässlich eines Prozess­es vor dem Amts­gericht Erfurt stat­tfand. Bei dieser Kundge­bung gab es ein Trans­par­ent, auf dem „Auch Polizist_innen sind Rassist_innen!“ zu lesen war. Ein Polizist ließ mich nach einiger Zeit wis­sen, dass er sich durch das Trans­par­ent belei­digt füh­le, während es sich weit­ere Polizeibeamt*innen ganz unbelei­digt im Mannschafts­fahrzeug nebe­nan bequem gemacht hat­ten. Die dien­stjün­gere Kol­le­gin an sein­er Seite war es dann, die Anzeige wegen Belei­di­gung gegen mich erstat­tete.

Dabei zeigten Kundge­bung und Prozess ein präzis­es Abbild dieser Gesellschaft: So musste sich Shar­iff als einzige Per­son vor der Glas­front des Gericht­es bis auf die Unter­hose ausziehen, da auch keine*r der Polizist*innen sich die Mühe machte, die Anweisun­gen zu über­set­zen – Shar­iff ist Schwarz. Tom, ein dunkel­häutiger Deutsch­er, wurde als Einziger bei der Ein­lasskon­trolle gefragt, ob er ansteck­ende Krankheit­en hätte. Dem Angeklagten selb­st wurde im Gericht das Wort ent­zo­gen, als er seine Auseinan­der­set­zung mit seinem eige­nen Ras­sis­mus und dem Ras­sis­mus Deutsch­lands aus­führen wollte. Er ver­ließ daraufhin aus Protest den Gerichtssaal.

B. stand an diesem Tag am Amts­gericht Erfurt vor Gericht, weil er intu­itiv richtig han­delte: Er kon­nte eine offen­sichtlich ras­sis­tisch motivierte Polizeikon­trolle am 17.04.2014 stören und kassierte für das Faz­it seines Vor­trages über die deutsche Polizei vor zwei Polizis­ten – „Ihr seid Ras­sis­ten!“ – eine Anzeige wegen Belei­di­gung: „An diesem Tag führten auch zwei Per­so­n­en der Lan­despolizei am Anger in Erfurt eine Kon­trolle nach diesem Schema durch. Sie liefen ziel­gerichtet auf zwei Men­schen zu, die als nicht-weiß kon­stru­iert wer­den, während sie alle anderen Per­so­n­en ignori­erten. B. (…) wollte die ras­sis­tis­che Tat nicht hin­nehmen und ver­suchte zu inter­ve­nieren. Die Beamten reagierten unein­sichtig, sie woll­ten die Kon­trolle nicht abbrechen. Ihnen wur­den dabei Hin­ter­gründe zu Polizeiar­beit, Ras­sis­mus, auch in Bezug zum soge­nan­nten NSU, erläutert: Der kom­plette Polizei-Appa­rat hat unter Fam­i­lien­mit­gliedern von Betrof­fe­nen, Türk_innen, Kurd_innen, Schwarzen und Romn_ja ermit­telt. Während­dessen kon­nten deutsche Bombenbauer_innen und Mörder_innen min­destens neun Men­schen aus ras­sis­tis­chen Grün­den töten.“

Es ist ein mächtiges Priv­i­leg von weiß-deutschen Men­schen in Deutsch­land und damit auch von mir, sich nicht zu jed­er Tages- und Nachtzeit leb­haft Gedanken darum machen zu müssen, ob du Opfer eines Über­griffs wirst. Dabei spielt es im All­t­ag von Betrof­fe­nen keine Rolle, wie Täter*innen ihre per­for­ma­tiv­en Hand­lun­gen recht­fer­ti­gen wollen: Den Meis­ten genügt hier­für eine so emp­fun­dene unbes­timm­bare, zu oft ein­fach alberne „Über­frem­dungsangst“, Uni­formierten hinge­gen das Bun­de­spolizeige­setz Para­graf 22, die Straf­prozes­sor­d­nung Para­graf 136 oder die durch aller­lei Son­derge­set­ze und vor­ein­genommene Asyl­recht­sprü­fun­gen her­beige­führte Aus­reisepflicht, die fast täglich irgend­wo in Deutsch­land, vor allem nachts, bru­tal und trau­ma­tisierend mit­tels Depor­ta­tio­nen von ihnen durchge­set­zt wird.

Ich kann nur erah­nen, was es bedeutet, Gegen­stand deutsch­er „Willkom­men­skul­tur“ zu wer­den. Doch dazu haben Betrof­fene und deren Freund*innen selb­st die herrschen­den Ver­hält­nisse auf den Punkt gebracht:

Miloud erk­lärt am 23.05.2015 in Jena:
„Es ist ein Gefühl der Ungerechtigkeit, wenn du der Einzige im Zugabteil bist, der nach sein­er Iden­tität gefragt wird. Ich füh­le mich dann immer wieder erniedrigt, ange­grif­f­en, diskri­m­iniert. Ich sehe die Polizei als Voll­streck­er von Ras­sis­mus in dieser Gesellschaft. Die Polizei benutzt die Macht von Geset­ze um die ras­sis­tis­che Kon­trollen durchzuführen. Sie instru­men­tal­isieren die Furcht, die die meis­ten Flüchtlinge und Migrant*innen von ihren Heimatlän­dern mit­ge­bracht haben – und sie fühlen sich durch das unange­brachte und mis­er­able Schweigen viel­er von uns bestätigt! Die Polizist*innen sagen dir sog­ar offen belustigt ins Gesicht, dass Ras­sis­mus kein Ver­brechen in Deutsch­land ist und dass du sie dafür auch nicht ankla­gen kannst. Aber wenn du ihnen ander­er­seits sagst ‘Ihr seid ras­sis­tisch!’, dann fühlen sie sich in ihrer ‘Ehre’ belei­digt, ren­nen ins näch­ste Gericht und sor­gen dafür, dass du wegen Belei­di­gung verurteilt wirst.“

Biplab Basu am 20.05.2015 in der tageszeitung:
„(…) in allen anderen Abteilen saßen weiße Men­schen. Ich bin ja vorher an den Abteilen vor­beige­gan­gen und habe die Leute gese­hen. Deshalb fragte ich den Polizis­ten: ‚Gibt es einen Grund, dass Sie aus­gerech­net meinen Ausweis sehen möcht­en?‘ Der antwortete: ‚Ja, wir machen eine stich­probe­nar­tige Gren­zkon­trolle, um ille­gale Ein­wan­derung zu ver­hin­dern.‘ – ‚Inter­es­sant. Warum bin ich denn der erste Fahrgast, den Sie kon­trol­lieren? Gibt es einen bes­timmten Grund?‘ – ‚Nein, es ist wie gesagt nur eine Stich­probe‘, sagte der Polizist. Daraufhin sagte ich: ‚Ich glaube schon, dass Sie einen Grund haben. Es ist meine Haut­farbe. Das ist ras­sis­tisch.‘“

Anti­ras­sis­tis­che Grup­pen und Einzelper­so­n­en erk­lären am 23.05.2015 in Han­nover:
„Mit Wut und Bestürzung haben wir die aktuellen Mel­dun­gen über die ras­sis­tis­che Polizeige­walt in der Dien­st­stelle der Bun­de­spolizei in Han­nover zur Ken­nt­nis genom­men. Doch genau­so wütend macht uns bere­its der Auf­takt der Aufar­beitung der Vor­fälle. Bere­its im Vor­feld spricht ein Ober­staat­san­walt laut NDR davon, dass der ‚Vor­wurf […] sehr beden­klich und ein­ma­lig wäre.‘ (…) In Han­nover sind in der Ver­gan­gen­heit immer wieder Angriffe durch Polizeibeamte, v.a. in der berüchtigten Her­schelwache nahe des Bahn­hofs, bekan­nt gewor­den. Solche Angriffe sind kein Zufall und auch nicht das Werk von Einzeltäter_innen! Vielmehr sind sie eine logis­che Kon­se­quenz in einem Sys­tem, in dem Polizist_innen Gewalt anwen­den, ohne Kon­se­quen­zen befürcht­en zu müssen, da sie davon aus­ge­hen kön­nen, im Sinne eines wider­lichen Korps­geistes von Kolleg_innen und Vorge­set­zten durch Wege­se­hen und Falschaus­sagen gedeckt zu wer­den, ohne dass dies durch Staat­san­waltschaft und Richter*innen einge­hend unter­sucht wird. Amnesty und der Repub­likanis­che Anwältin­nen- und Anwäl­tev­ere­in e.V. (RAV) kom­men auf 1–3% angeklagter Fälle nach Anzeigen bezüglich Polizeige­walt. Sie enden meist mit Freis­prüchen.“

Die Ini­ti­ta­tive in Gedenken an Oury Jal­loh erk­lärt am 20.01.2015:
„Oury Jal­loh wurde am 7.1.2005 in der Dessauer Polizeizelle 5 ver­bran­nt. Sofort behaupteten polizeiliche Ermit­tler und die Dessauer Staat­san­waltschaft, dass Oury Jal­loh sich selb­st angezün­det habe. Trotz wider­sprüch­lich­er Zeu­ge­naus­sagen, ein­er großen Anzahl ver­schwun­den­er Beweis­mit­tel und ein­er, bis heute völ­lig ungek­lärten Brand- und Todesur­sache von Oury Jal­loh, ver­weigerten auch die zuständi­gen Richter vom Dessauer und Magde­burg­er Landgericht die Aufk­lärung der Todesum­stände von Oury Jal­loh. Die Behaup­tung, Oury Jal­loh habe das Feuer selb­st verur­sacht, kon­nte durch die jahre­lange Arbeit der Ini­tia­tive in Gedenken an Oury Jal­loh in mehrfach­er Hin­sicht auch wis­senschaftlich wider­legt wer­den. Ein Nasen­bein­bruch, kein Kohlen­monox­id im Blut, ein manip­uliertes Feuerzeug! Ein in Irland in Auf­trag gegebenes Gutacht­en des Brand­sachver­ständi­gen Mak­sim Smirnou machte im Novem­ber 2013 deut­lich, dass es, physikalis­chen betra­chtet, völ­lig unmöglich ist, mit einem ein­fachen Feuerzeug einen der­art starken Brand zu verur­sachen.“

Ich rufe dazu auf, sich mit den Betrof­fe­nen ras­sis­tis­ch­er Gewalt zu sol­i­darisieren, den Prozess am 10.06.2015, um 13:00 Uhr am Amts­gericht Erfurt zu begleit­en und sich im Anschluss an die Ver­hand­lung in einen Demon­stra­tionszug durch die Erfurter Innen­stadt zur Bun­de­spolizei­in­spek­tion am Haupt­bahn­hof zu beteili­gen.

Bist du Betroffene*r von Ras­sis­mus und Racial Pro­fil­ing und möcht­est anonym oder öffentlich den Prozess als Plat­tform nutzen? Dann kannst du dich bei: melden.

Anreise zum Amts­gericht Erfurt, Rudolf­str. 46:
Hal­testelle „Bahn­hofsvor­platz Erfurt“ – alle Lin­ien Rich­tung Innen­stadt bis Hal­testelle „Anger“, von dort Lin­ie 4 Rich­tung Binder­sleben – Flughafen bis Hal­testelle „Jus­tizzen­trum“

Datum:

10. Juni 2015    

Zeit:

13:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Amts­gericht Erfurt
Rudolf­s­traße 46
Erfurt

Veranstalter*in:

Veranstaltungslink:

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