Ein Gerücht, das nicht vergeht: Über die unheimliche Persistenz des Antisemitismus – Philipp Lenhard

18. November 2014 | 19:00

Anlässlich der anti­semi­tis­chen Erup­tio­nen auf Europas Straßen während des let­zten Gaza­krieges waren sich Medi­en und Poli­tik hierzu­lande einig: Juden­hass dürfe in Deutsch­land nicht toleriert wer­den. Die Bild-Zeitung ließ aller­hand A‑, B- und C‑Promis auf­sagen, dass „Hass schon an sich etwas Schlecht­es“ sei, aber „gegen Men­schen erst recht“. Stel­lvertre­tend für viele andere ließ die aus Heimat­fil­men und dem Han­nover­an­er „Tatort“ bekan­nte Schaus­pielerin Maria Furtwän­gler die Leser wis­sen: „Juden­hass von deutschem Boden darf es nie wieder geben.“ Solch wohlfeile Verurteilun­gen des Anti­semitismus, aus denen nichts fol­gte – die Demon­stra­tio­nen und Kundge­bun­gen mussten fast alle von jüdis­chen Gemein­den organ­isiert wer­den –, gin­gen ein­her mit der Ein­forderung eines unbe­d­ingten Rechts auf „Israelkri­tik“. Wo eine solche for­muliert wurde, richtete sie sich auss­chließlich gegen die Tat­sache, dass sich der jüdis­che Staat über­haupt gegen Anti­semitismus zur Wehr set­zt. Wegen der neb­ulös als „Ver­gan­gen­heit“ ver­harm­losten Ver­nich­tung der europäis­chen Juden müssten die Deutschen sich zügeln, heißt es. Auf dem Boden Gazas dage­gen sei Juden­hass, fol­gt man der Logik der Israelkri­tik­er, sehr wohl legit­im. Den Rake­ten­ter­ror sollen die Israelis stoisch erdulden, schließlich seien sie mit ihrem unge­bührlichen Ver­hal­ten selb­st schuld daran, dass die Palästi­nenser sie nicht mögen.

Dass manch­er vorge­bliche Anti­semitismuskri­tik­er auf diese Weise eine poli­tisch kor­rek­te Juden­feind­schaft schürte, die dem Mob auf der Straße das Wort redete, bleibt ver­bor­gen. Kri­tik an Israel und den Juden müsse rein sach­lich ori­en­tiert sein und sich auf Fak­ten stützen, heißt es dage­gen, nur dann könne denen, die die Israelkri­tik für ihre Pro­pa­gan­da „miss­braucht­en“, das Wass­er abge­graben wer­den. Auf Phoenix ließ sich daraufhin ein renom­miert­er Anti­semitismus­forsch­er die Aus­sage ent­lock­en, eigentlich müssten die Demon­stran­ten „Israel, Israel, feiges Schwein!“ rufen – dann sei alles in bester Ord­nung.

Um diesem Wahnsinn etwas ent­ge­gen­zuset­zen, bedarf es ein­er Reflex­ion auf die Gren­zen der Aufk­lärung. Anstatt fak­ten­hu­berisch Gege­nar­gu­mente anzuführen und damit in den Diskurs der Mei­n­un­gen einzusteigen, der schon immer dem „Gerücht über die Juden“ (Adorno) Vorschub geleis­tet hat, wäre zu fra­gen, welche gesellschaftliche Kon­stel­la­tion den kollek­tiv­en Wahn – das drin­gende Bedürf­nis, die Juden zu dämon­isieren – immer aufs Neue her­vor­bringt und per­pe­tu­iert. Der Aus­gangspunkt dafür ist und muss nach Auschwitz die ket­zerische Frage sein, ob nicht der Zion­is­mus mit sein­er Behaup­tung eines „ewigen Anti­semitismus“ Recht hat­te.

Philipp Lenhard ist Redak­teur der Zeitschrift Prodomo und Mither­aus­ge­ber sowie Autor des Ban­des „Gege­naufk­lärung. Der post­mod­erne Beitrag zur Bar­barisierung der Gesellschaft“ (ça ira Ver­lag: Freiburg i. B. 2011).


Die kom­plette Vor­tragsrei­he „… und immer noch kein Ende in Sicht? – Anti­semi­tis­ch­er Wahn und aktueller Islamis­mus“ find­er ihr hier:
https://www.facebook.com/events/576524772469676/

Auss­chlussklausel gemäß §6 Abs. 1 VersG:
Per­so­n­en, die recht­sex­tremen Parteien oder Organ­i­sa­tio­nen ange­hören oder der recht­sex­tremen Szene zuzuord­nen sind, sind von der Ver­anstal­tung aus­geschlossen. Die Ver­anstal­tenden wer­den ihnen den Zutritt zur Ver­anstal­tung ver­wehren oder sie während der Ver­anstal­tung von dieser auss­chließen.

Datum:

18. Novem­ber 2014    

Zeit:

19:00

Veranstaltungskategorie/n:

Veranstaltungsort:

Uni Jena, Hör­saal 8
Carl-Zeiss-Strasse 3
Jena

Veranstalter*in:

Veranstaltungslink: